zeichenblogger - first drawing journal

Zeichnungen zum Tag - Journal mit Zeichen- und Schreibfeder. Salut!


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3. Februar 2011

Pavillon

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Linsen. Das war im Sommer eine der ersten Zeichnungen, es begann währenddessen zu regnen.
Und ich war traurig und erinnerte mich der Verse Ovids :


"Cum subit illius tristissima noctis imago,
quae mihi supremum tempus in Urbe fuit,
cum repeto noctem, qua tot mihi cara reliqui,
labitur ex oculis nunc quoque gutta meis."

(.. wenn mir das tieftraurige Bild jener  Nacht heraufsteigt,
meiner letzten Stunden in Rom, wenn ich an die Nacht mich erinnere,
in der ich so viel mir Liebes zurückließ,
dann rinnen mir noch heute die Tränen aus den Augen)

Es ist sicher kein falscher Weg, wenn die Sprachkunst und speziell die Lyrik abgegriffene Wendungen und Bilder vermeidet, und durch stets neuartige Kombinationen, manchmal sogar Neuschöpfungen, die Sprache lebendig und frisch erhält. Genauso legitim und wichtig ist es jedoch, wenn andere ausschließlich mit dem gängigen Wort- und Bildinventar arbeiten. Die Fähigkeit, mit fertigen Fügungen auf eine schöne und geistreiche Weise zu spielen, und dabei womöglich auch noch dem eigenen originären Empfinden oder  Denken echten Ausdruck zu verleihen, bringt Früchte hervor, die ich genau so liebe.
Die Verwendung von Versen ist in der neueren Literatur fast völlig außer Gebrauch gekommen. Einerseits völlig zu Recht. Man hatte das "Geklingel" gründlich satt, und wenn ich an die vielen oft nicht einmal mittelmäßigen Produkte dieses Genres denke, die ich heute noch fallweise zu Gesicht bekomme, ist mir auch kein bisschen leid darum: Wenn schon Schmarrn, dann wenigstens ohne Staubzucker, dann lieber gleich Prosa, die sich meinetwegen halt Gedicht nennt.
Damit war freilich einer anderen Art von Dilettantismus Tür und Tor geöffnet: Wenn man  versehentlich vor Satzende die Enter-Taste auslöst, ist man deswegen noch kein Lyriker. Auch die Unfähigkeit, einen  Gedanken klar zu formulieren, bedeutet nicht die automatische Anwartschaft auf den Lorbeerkranz. Die "Profis" wissen das.

Ein Irrenhausdirektor wettert: "Sie kommen bereits nach zehn Sekunden schreiend zurück: Hilfe, eine Katze sitzt vor der Tür! Haben Sie mir nicht eben gerade vor Ihrer Entlassung versichert, Sie wüssten jetzt, dass Sie keine Maus sind?"
"Ich schon", sagte der Patient, " aber weiß es auch die Katze?"

Um zu unserer Frage zurückzukommen: Wissen das auch die Amateure und "Konsumenten" von Lyrik? Gibt es solche überhaupt noch in relevanter Zahl, und wenn, können sie Mist und Qualität überhaupt noch unterscheiden? Kann das überhaupt noch jemand?
Das ist jetzt kein Plädoyer für alte Versformen und Reimlyrik - doch zu übersehn ist nicht: Die freiwillige Askese, der unbedingte Wille zu Sprachoriginalität, die Scheu, ja der Abscheu vor geläufigen Wendungen, vor Bindung an strenge Maße, hat natürlich der Lyrik eine Menge Popularität und natürliches Interesse gekostet.

Z.B. sind mit der Vers- und Reimabstinenz auch handfeste Quellen des Spielens und Ebenen der Ästhetik verloren gegangen. In deren Welt strengen Maßes war es etwas besonders Schönes, wenn die allergewöhnlichste Redewendung - scheinbar mühelos in diese Form gebändigt - dem eigenen Inhalt Ausdruck verlieh. Ich kann mir kaum etwas Ergreifenderes vorstellen als diese oben zitierten Verse Ovids, die mit den allergewöhnlichsten Worten alles sagen - und doch: wie schön!
tags: Literaturkritik, moderne Lyrik, Versmaß, Reim, Reimlosigkeit, gebundene Form, Hexameter